Zurü

Hans Lenk

Kein Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier

Ist der Mensch Glied und Produkt einer umfassenden Entwicklung und bestehen somit nur- wenn auch gewichtige - graduelle Unterschiede zwischen Mensch und Tier? Oder führt vom Tier zum Menschen ein Sprung, ist der Mensch dem Tier gegenüber etwas ganz anderes, ein Sonderfall der Schöpfung?

Rein biologisch - entsprechend Darwins Abstammungstheorie - ist der Mensch fraglos"Glied und Produkt einer umfassenden Entwicklung". Die Vertreter gegen diese Theorie stützten sich meist auf von Menschen, qualitativ-absolut ihre Stellung als "Krone der Schöpfung" zu sehen. Weder als das Gemeinschaftswesen, als das "zoon politikon" (Aristoteles), als einziges verstandesbegabtes, sprachbegabtes oder lernfähiges, instinktungesichertes, "noch nicht festgestelltes" (Nietzsche), "weltoffenes" (Scheler) Wesen noch als "stellungnehmendes", sinnvoll leistend und (auch über sich) verfügend "handelndes Wesen" (Gehlen) ist der Mensch vor den Tieren absolut auszuzeichnen. Tiere leben in sozialen Einheiten, vom Gänsepaar bis zum Bienenstaat. Sie vollbringen, wie Delphine oder Schimpansen, einfache intelligente Leistungen. Sie haben Kommunikationssysteme, die bei manchen Vogelarten offenbar "Wort"- und "Satz" - Bildungen aus kleineren bedeutungstragenden Zeichen umfassen. Sie lernen - und zwar nicht nur durch Prägung bedingter Reflexe. Das moral-analoge Verhalten und die Kommunikationssysteme sowie Rituale zeigen, daß auch eine Kennzeichnung des Menschen als "moralisches" oder "symbolisches Wesen" (Cassirer) keinen unüberbrückbaren Graben zwischen Mensch und Tier aufreißt. Zweifellos ist die besondere Verbindung aller dieser Züge charakteristisch für den Menschen, und zweifellos ist jeder Zug beim Menschen in viel höherem Grade ausgeprägt als beim Tier. Hinsichtlich jedes einzelnen Zuges besteht also ein - wenn auch riesengroßer- Gradunterschied. Ob man die einzigartige Verbindung von hochgradig ausgeprägten Fähigkeiten als qualitative Andersartigkeit ansieht, ist mehr eine Frage der Definition dessen, was "qualitativer Unterschied" heißen soll. Menschlichem Selbstverständnis kann es sehr genehm sein, sich absolut vom Tier zu unterscheiden; daher oft jene Begriffswahl, die zum "Sprung" führt. Insofern handelt es sich hier nicht um eine Frage, die eindeutig durch Erkenntnis allein zu entscheiden ist. Sondern sie ist abhängig von begrifflichen Vorentscheidungen, die wiederum selbst von Zwecken oder Wertbindungen her bestimmt sind; denn der Begriff "qualitativer Unterschied" selbst ist vage und bedarf jeweils einer zweckentsprechenden Präzisierung.