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Kant: "Was darf ich hoffen?"

Problematisierung im heutigen Bezug

Was darf ich denn ernsthaft hoffen ? Es ist offenbar der Begriff Glauben, auf dem die Hoffnung basiert. Wie aber steht es um das Verhältnis von Glauben und Wissen?

Wissen im eigentlichen Sinn ist gesicherte, auf Erfahrung gegründete eigene Erkenntnis, nicht nur der Gegebenheit von Tatsachen, sondern auch ihrer Ursachen und Zusammenhänge. Über Planetenbahnen und Molekülaufbau weiß man viel, weil man sie auf Gravitationsgesetze und auf Kerngesetze zurückführen kann. Aber das ist sicherer als je: Es gibt viel mehr im Universum von Natur, Denken und Gesellschaft, als man in diesem Sinne verstehen kann. Der Forscher stößt heute so oft auf Tatsächliches, das er nicht aus seinem Begründungszusammenhang erkennt, also nicht wirklich weiß, so daß er gezwungen ist, mit dem "Nicht-Wissen" zu operieren und in seiner Wissenschaft viele "Leerstellen" mitzuführen, wo ihm Wissen fehlt. In allen wissenschaftlichen Fachrichtungen finden wir Bereiche des Hypothetischen, der Vermutung, des Glaubens: Nichterkanntes wird in die Bestände der Tatsachen hineingenommen, in der Hoffnung, daß man sie vielleicht einmal klären kann, aber auch im Verzicht auf eine letzte Klärung.

Es gibt offenbar zwei legale Haltungen des erkennenden Geistes und nicht nur die eine des Forschers, der um Wissen bemüht ist. Dem Erkennen steht zwar das Wissen gegenüber, aber dem Glauben das Ungeklärte, das Geheimnis. Es ist also legal hereinzunehmen, was wir nicht ergründet haben. Bevor der Forscher weiß, muß er glauben. Ein Beispiel: Wenn der Biologe nicht glaubt, daß es Leben gibt, nicht diese Vermutung in Betracht zieht, hat die ganze Biologie keinen Sinn mehr. Das ist auch in der Religion so. "Ich glaube, damit ich nachher einsehe, nachher verstehe", formulierte es Augustinus.

Der Wille muß der Erfüllung vorangehen. Natürlich gibt es darin immer Verschiebungen: Wenn das echte Erkennen gelingt, weicht der Glaube dem Wissen. Was ich ganz sicher weiß, glaube ich nicht mehr. Aber jeder Forscher hat dies erfahren: Im Augenblick, wo er wissend etwas begreift, eröffnet sich ihm ein neues Feld des Glaubens: Er muß die nächsten Dinge, die er jetzt sieht, wiederum glauben, nachdem er das Vordergründige erkannt hat. Wenn aber Glaube/Hoffnung eine legale Haltung für den Menschen ist, warum dieses dann gering einschätzen? Warum dann den Widerspruch betonen, der zwischen Glauben und Wissen besteht? Natürlich geht Wissen über Glauben hinaus im Rang der Sicherheit. Glaube aber geht über das Wissen hinaus, er hat schon vorweggenommen, was spätere Jahrhunderte erst in den Wissensbereich Raum und Zeit die beiden Formen der Intuition und betonte, daß sie jeder Erfahrung vorausgehen.

Den Glaube an die unsterbliche Seele, an die Existenz Gottes und an den freien Willen bezeichnet er als praktische Postulate (eine Annahme, die für die Praxis, d.h. für das moralische Verhalten, angenommen werden muß). In der praktischen Philosophie versucht Kant ein oberstes Begründungsprinzip für Handlungen bzw. Normen aufzustellen. Er unterscheidet dabei Seins- und Sollenssätze: daß etwas ist, heißt nicht, daß es auch sein soll. Kant glaubte, daß es im Gewissen eine Instanz gibt, die allen Menschen das gleiche rät: kategorischer Imperativ (kategorisch: unbedingt und ohne Einschränkung gültig, Imperativ: zwingend in der Art eines Befehls).